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Zwischen Nebel und Licht – Sasha Waltz‘ „Beethoven 7“ in HELLERAU

„Beethoven 7“ von Sasha Waltz dient sicherlich nicht nur zur seichten Unterhaltung. Schon gar nicht in der ersten Hälfte. Es beginnt mit Nebel. Viel Nebel. So viel, dass man die Bühne kaum sehen kann. Die Musik: kein Beethoven, sondern Live-Elektronik vom DJ-Pult am linken Bühnenrand. Der Bass wummert, die Beats dröhnen, es klingt düster, bedrückend. Auf der Bühne taumeln Gestalten mit verformten Stoffmasken vor dem Gesicht. Zum Teil ragen nur vereinzelt Köpfe und Hände aus der weißen Nebelmasse, beleuchtet von einem harten Licht von oben. Die Körper darunter bewegen sich wie unnatürliche Wesen – mal langsam, mal ruckartig und fremdartig, als kämen sie aus einer anderen Realität. Schwer greifbar und zugleich von einer verstörenden Ästhetik. Wahrscheinlich deshalb passt es trotz anderer Musik zu Beethovens siebter Sinfonie: Weil die dystopische Stimmung die Themen aufgreift, die in der Sinfonie mitschwingen: Verlust von Zukunftsperspektiven und das Scheitern einer Revolution, die neue Freiheit bringen sollte. Die Bewegungen der Tanzenden erinnern an einen Schwarm, dessen Elemente scheinbar planlos treiben und sich doch einer gemeinsamen Strömung hingeben. Ein Bild, das sich unmittelbar einprägt – faszinierend und irritierend zugleich.

Nach der Pause folgt ein Bruch, der fast schon zu deutlich ist: Der ganze Raum öffnet sich. Die schwarzen Stoffe, die den Raum auskleideten, verschwinden, die weißen Wände und Säulen des Festspielhauses kommen zum Vorschein, der Nebel ist weg. Auch die Musik verändert sich – nun erklingt tatsächlich Beethoven, klassisch, getragen, mit großen Gesten. Die Tanzenden wirken plötzlich wie ausgewechselt: freundlich, elegant, fast feierlich. Es wird gelächelt, umarmt, die Kostüme sind hell und leicht. Für einen Moment fühlt sich alles unbeschwert an – fast zu schön, um wahr zu sein. Und gerade deshalb vielleicht auch irritierend.

Besonders intensiv wurde es, als in einer späteren Szene die Musik komplett verstummte: Nur noch die synchronen Schritte aller Tanzenden hallten durch den Raum. So synchron und perfekt aufeinander abgestimmt, dass es klang, als bewege sich ein einziger Körper über die Bühne. In einem Duett wirken die Bewegungen so eng aufeinander abgestimmt, dass die Tanzenden zeitweise zu einer einzigen Formation verschmelzen. Dann wieder große Gruppenszenen, kraftvoll, stellenweise fast militärisch. Und mittendrin eine Tänzerin, die eine transparente Fahne schwenkt – elegant, poetisch, patriotisch. Nicht alles erzählt sich von selbst – manche Bilder bleiben rätselhaft, manche Fragen offen.

Was an diesem Abend besonders faszinierte, war nicht nur die Präzision und Körperbeherrschung der Tänzer*innen, sondern ihr tiefes Einfühlen in die Musik – mal als Widerstand, mal als Hingabe, mal als wütender Protest.

Und doch bleibt ein leiser Zweifel: Der Kontrast zwischen den Teilen wirkt hart, fast schon wie zwei verschiedene Stücke. Der Wechsel von Beats zu Beethoven, von Nebel zu Licht, von Düsternis zu Leichtigkeit – wäre es mehr miteinander verwoben hätte es das Erlebnis noch stimmiger gemacht. Es bleibt das Gefühl, dass zwischen diesen Welten noch etwas gefehlt hat.

Dennoch: Alle Anwesenden schienen mehr als begeistert. „Beethoven 7“ bietet große Bilder, eindrucksvolle Momente und eine klare choreografische Sprache. Nicht alles wirkt emotional nah, nicht alles wird verständlich – aber vielleicht ist genau das Teil des Konzepts. Denn manchmal reicht es, wenn ein Bild hängen bleibt. Wenn eine Szene, wie Hände und Köpfe im Licht über Nebel, noch Tage später durch den Kopf schwebt.

Ein Text von Helene Lindicke & Charly Harazim