PEGIDA, Übergriffe auf Migranten und der große Wahlerfolg der AfD zeigen, dass rechtes Gedankengut seinen Weg in die Gesellschaft gefunden hat und offen verbreitet wird. Doch weshalb kommt es gerade im Osten und insbesondere in Sachsen dazu, dass PEGIDA und die AfD so viel Anklang und Zustimmung finden?
Die Inszenierung des Theaterstücks „Mit der Faust in die Welt schlagen“ hält sich eng, teilweise wortgetreu an seine Vorlage, den gleichnamigen Roman von Lukas Rietzschel. Rietzschel selbst wurde 1994 in Ostsachsen geboren und lebt heute in Görlitz.
Die Antwort auf die Frage, weshalb die politische Stimmung im Osten aufgeladen ist, wird exemplarisch an der Familiengeschichte der Brüder Phillipp und Tobias erzählt, die in der Lausitz der Nachwendezeit aufwachsen und deren Lebensumfeld von den Wunden, die die Wende in das Land gerissen hat, gezeichnet ist. Weniges ist vernarbt, viele haben sich noch nicht zurechtgefunden in dieser Welt, die sich auf nahezu allen Ebenen verändert hat. Die Gewissheit und Sicherheit von gestern ist Verfall und Ungewissheit gewichen. Und auch die jungen Menschen, die Nachgeborenen, finden keinen Halt; wie auch, wenn alles in Auflösung zu sein scheint. Die Trennung der Eltern, das schon längst geschlossene Schamottenwerk, der Terroranschlag am 11. September 2001 auf das World Trade Center, die Globalisierung und der entfesselte Kapitalismus – die Verunsicherung hält auch die beiden Brüder fest im Griff. In ihrem Unvermögen, sich in dieser als fremd empfundenen Welt zurechtzufinden, entwickeln sich die beiden Brüder immer weiter auseinander. Während der jüngere Tobi Zuflucht bei einer Gruppe Neonazis sucht, zieht sich Phillipp immer weiter in sich zurück. Als die PEGIDA-Bewegung in Dresden immer mehr Aufmerksamkeit erlangt und ihre alte Grundschule ein Heim für Geflüchtete werden soll, nimmt das Verhängnis seinen Lauf.
Rietzschels Auseinandersetzung mit diesem Stoff ist der Versuch, die derzeitige politische Situation in Sachsen historisch zu erklären und auf einzelne Menschen herunterzubrechen: Weshalb schließen sich immer mehr junge Menschen rechten Gruppierungen an oder teilen deren radikale Gesinnung? Dieses Problem ist nicht allein historisch zu begreifen. Auch die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und die Geheimnisse haben ihren Anteil, die Eltern und Großeltern, die über die Kriegs- und Nachkriegszeit, die DDR und die Wende schweigen, die eigene Schuld und Traumata verdrängen und jetzt keine Antworten geben auf die Fragen der Kinder. Zwei Diktaturen und die Wende scheinen die Menschen ihrer Identität gründlich beraubt zu haben. Was bleibt ist ein Gefühl der Machtlosigkeit, aus der die Radikalisierung oft der einzige identitätsstiftende Ausweg zu sein scheint.
Die Erwartung, die ich habe, als ich das schlichte Bühnenbild zum ersten Mal sehe, bestätigt sich später: Es ist eine typische Inszenierung des Staatsschauspiels. Die Schauspieler sprechen in Richtung des Publikums und immer wieder kommt eine Livecam zum Einsatz; viele Dialoge werden duellartig schreiend ausgetragen, als gäbe es für Schauspieler*innen keine Möglichkeiten, ihre Gefühle auf andere Art und Weise zu vermitteln, mit mehr Nuancen, mehr Schattierungen.
Die Charaktere und deren Entwicklungen sind manchmal zu oberflächlich, sodass ich manche Handlungen nicht vollkommen nachvollziehen kann, vor allem Tobias Veränderung wird im Stück nicht deutlich genug dargestellt.
Alles in allem bietet die Inszenierung dem Zuschauer nichts Neues: Keine neuen Ideen, kein neuer Umgang mit dem im Buch gebotenen Stoff. Dennoch ist die Inszenierung keinesfalls schlecht, lässt einen aber auch nicht zu Ausrufen der Begeisterung hinreißen. Das Stück greift Problematiken unserer Zeit auf, die aus der Vergangenheit entstanden sind, bringt einen zum Nachdenken, zum Hinterfragen der Wende, lässt einen den Kopf schütteln und die Ohnmacht der Charaktere nachempfinden gegenüber dem, was um sie herum gerade geschieht. Man beginnt zu verstehen – aber hat man deshalb Verständnis für die Radikalisierung derart breiter Bevölkerungsgruppen? Ein Gefühl der Ratlosigkeit übermannt einen…
Was sowohl dem Buch als auch den Theaterstück fehlt ist ein Lösungsansatz: Rietzschel beschreibt nur ohne zu urteilen. Er lässt den Zuschauer allein mit der Frage: Was nun? Aber vielleicht hat er recht: welche Schlüsse daraus zu ziehen sind für die Beurteilung und das eigene Handeln, das muss jede*r für sich selbst entscheiden.
Text: Leah Strobel
Bilder: Sebastian Hoppe, Marcelo Marques via Unsplash