Ein Theaterabend der etwas anderen Art im Staatsschauspielhaus Dresden
„Wir schreiben das Jahr 2047“ ertönt eine künstliche Stimme aus dem Off. Es ist Iris, eine künstliche Intelligenz, die in der Zukunft alles zu organisieren scheint. „Bitte legt euer Profil an“. Auf den Displays der Smartphones, die vor den ZuschauerInnen drapiert sind, erscheint die erste Frage. Jede Antwort, die ausgewählt wird, erzeugt einen eigenen Ton, ein Geräusch oder eine Melodie und lässt die Bildschirme in verschiedenen Farben aufleuchten. Die Antworten werden von Iris in der Cloud berechnet und die ZuschauerInnen dementsprechend durcheinandergewürfelt. Sie bilden Paare oder ganze Schwärme, bauen sich Nester aus den Kunststoffhockern oder beantworten gemeinsam Fragen auf den Smartphones, die sich an ihre Handgelenke befestigen lassen. Als Spielleiter fungieren neben Iris, die zwei einzigen „echten Performer“ Kostia Kallivretakis und Vassilis Koukalani.
Die ZuschauerInnen unterliegen einem permanenten Abstimmungsprozess, antworten sie nicht rechtzeitig, ermittelt Iris anhand der Daten die wahrscheinlichste Antwort. Sie sind also nicht bloß beobachtende TeilnehmerInnen, sondern aktive MitspielerInnen.
Anstelle eines klassischen Bühnenbildes ist der Saal ähnlich einem Minecraftspiel aufgebaut, welches die ZuschauerInnen miteinbezieht. Zwischendurch fühlt man sich etwas in die Schulzeit zurück-, anstatt in die Zukunft voraus versetzt. Das liegt womöglich auch an den etwas chaotischen Umbauszenen und interaktiven Finde-deinen-Partner-Spielen.
Thematisch greift das Stück auf die Generation der „Digital Natives“ zurück und stellt aufkommende Fragen in den Mittelpunkt: Inwiefern funktioniert die vernetzte Welt, ist sie besser oder sicherer geworden und inwiefern sind wir durch Algorithmen beeinflusst? Gibt es einen freien Willen oder haben wir unseren Willen bereits an die Maschinen verloren? Sind unsere Freiheit und Selbstbestimmung vor dem Untergang bedroht? Sind wir irgendwann nur noch Marionetten komplexer Systeme? Und welche Bedeutung trägt die digitale Vernetzung für demokratische Prozesse? Würden wir beispielsweise anders wählen, wenn uns in regelmäßigen Abständen ein Algorithmus Parteien vorschlägt, die zu unserem digitalen Fingerabdruck passen?
Mit dem Ausgangspunkt Athen als die Wiege der Demokratie und des Theaters, besteht ein permanenter thematischer Bezug zu Griechenland und es drängt sich die sehr akute Frage auf: Ist diese Demokratie, in der wir leben, noch eine Demokratie?
Im Griechischen ist das Einverständnis die Sinfonia. Das Zusammenspiel aller Antwortstöne und –farben geben am Ende einen Zusammenklang, ein „Orchester der Meinungen“.
Träumende Kollektive. Tastende Schafe ist der dritte Teil von der Produktionsreihe Staat 1-4, welche eine Kooperation zwischen dem Haus der Kulturen Berlin, den Münchnern Kammerspielen, dem Schauspielhaus Düsseldorf, dem Schauspielhaus Zürich, dem Staatsschauspiel Dresden und dem Rimini Protokoll ist und wurde im Rahmen eines Langzeitprojekts der HKW „100 Jahre Gegenwart“ entwickelt.
Der Regisseure Daniel Wetzel bildet mit anderen das Autorenkollektiv Rimini Protokoll mit dem Mittelpunkt um die Weiterentwicklung des Theaters durch verschiedene Mittel. Alle Vier Teile werden im März 2018 in Berlin im Haus der Kulturen der Welt gezeigt,
In München zum Beispiel wurde sich mit dem deutschen Geheimdienst anhand einer Audioführung durch ein Museum auseinandergesetzt, in Düsseldorf mit dem Problem von Großbaustellen und in Zürich mit dem „Weltzustand“ an sich, und der Frage inwiefern sich ein Land von der internationalen Verantwortung entziehen kann.