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Allgemein Tanz und Theater

Inarow – Festival der go plastic company im Festspielhaus Hellerau.

Männer vor Hintergründen. Bilder, Fotografien. Ein nackter Körper flimmert über alte Röhrenfernseher, formt Posen aus historischen Gemälden  und wird in zahlreichen Spiegeln reflektiert. Es laufen Kurzfilme und Notizen und Zeichnungen aus den Planungsphasen verschiedener Aufführungen liegen zwischen Fotos und Einzelteilen einer Barbie. Ruhe. Es ist Freitag 18:30 Uhr, das Festspielhaus gähnt. Nur wenige Gäste durchstöbern die kleinen Ausstellungen der Assoziierten Künstler der go plastic company in den sonst selten frequentierten Räumlichkeiten des Ost und West Flügels. Es ist das Rahmenprogramm des Inarow Festivals, später am Abend wird es noch Performances und eine Hauptveranstaltung geben, doch noch obsiegt die Ruhe.

Assoziierte Künstler der go plastic company, das sind Freunde und Bekannte der freien Tanzszene aus dem Dunstkreis um Cindy Hammer und Susan Schubert welche seit 2012 gemeinsam die künstlerische Leitung der Company übernehmen. Seit dem Frühling 2016 zählen sie selbst zu den assoziierten Künstler*Innen in Hellerau und genossen so eine gewisse Narrenfreiheit für ihre Inszenierungen, was, wie Susan mir sagte: „großartig ist um den Dresdnern zu zeigen was alles so möglich ist“. Sie freut sich über die Ehre in diesem wunderbaren Haus und auf seiner riesigen Spielwiese agieren zu dürfen. Assoziierte Künstler – das klingt ein wenig nach Vettern Wirtschaft, doch so ist das in der freien Szene – Vernetzung ist wichtig, national und international. So kommen viele verschiedene Künstler aus den unterschiedlichsten Bereichen der darstellenden Künste zusammen und schaffen so den Facettenreichtum von dem go plastic lebt. Zeitgenössisch und urban wollen sie sein, sagen Cindy und Susan in einem Interview, sie seien geprägt von Architektur, Film und MTV.

Die Fühler weit über die Landesgrenzen zu verteilen, macht das gemeinsame Arbeiten zu einer Herausforderung. Manche der Künstler*Innen leben nicht einmal in Europa. Es mussten Methoden entwickelt werden weit voneinander entfernt gemeinsam an etwas zu arbeiten. Denn alle an einen Ort zu bringen ist ein enormer Verwaltungsaufwand und macht einen Großteil der Arbeit von Cindy und Susan aus. Trotz der kollektivartigen Strukturen obliegt ihnen noch die Leitung. Die Ideen entstehen zu meist in ihren Köpfen und werden dann recht bald an den engeren Kreis getragen. Die Ideen werfen Fragen auf und diese Fragen werden verarbeitet zu Interviews, zu Fragebögen. Meist existiert bereits eine Vorstellung der Wunsch Besetzung und so werden die Fragen verteilt, sowohl an die Darsteller*Innen, als auch an das Team und enge Freunde. Die gegebenen Antworten führen zum Diskurs und so wird erstes Material generiert. Was nun als Text, Assoziation, Gedankenfetzen oder Gespräch vorliegt wird zu ersten Improvisations-Aufgaben weiter verarbeitet und mit den Tänzern in Bewegungen verwandelt. Teils geben Susan und Cindy nur einen Rahmen vor, welchen die Tänzer*Innen frei füllen können, teils haben sie konkrete Vorstellungen und erst wenn diese übernommen sind vergeben die Tänzer*innen eine persönliche Note.

Am heutigen Abend werde ich eine Mixtur aus den drei bislang auf diese Weise entstandenen Stücken sehen. Doch zunächst schweife ich weiter durch die Ausstellungen des Rahmenprogramms. Die Wände der oberen Gänge in Ost und Westflügel zieren Portraits sämtlicher am Festival beteiligter Künstler, sowie Bilder von Aufführungen und aus dem Probenprozess. Da ich bald schon einen Blick in jeden Raum geworfen habe lasse ich mich draußen auf der Treppe des mächtigen Gebäudes nieder, wo die Projektoren auf Dunkelheit warten um die Fassade mit Zebrastreifen zu mustern. Ich schaue den Menschen beim Rauchen zu und habe das Gefühl fast ausschließlich von der Dresdner Tanz- und Theaterwelt umgeben zu sein. Und dann ist da noch dieser Typ. In Badeanzug samt Kappe und Taucherbrille steht er in einem Turm aus Autoreifen und vollführt Schwimmbewegungen. Hin und wieder taucht er ab. Über dem riesigen Strahler, welcher ihn durch eine gelbe Folie hindurch beleuchtet, sehe ich das Flimmern der Hitze.

Pailletten auf Rollschuhen geistern zwischen Friz- Limo und Apple Endgeräten herum durch das sich füllende Foyer. 20 Uhr. Eine kurze Ansprache samt Erinnerung an das erste Stück von Cindy in Hellerau. Damals vor immerhin 7 Jahren noch frische Palucca Absolventin besetzt sie heute das gesamte Haus. Applaus. Das Publikum wird zweigeteilt in eine grüne und eine gelbe Gruppe. Fehlende Aufkleber sorgen für Verwirrung, aber alles läuft zum Ende. „Ist das orange?“ Der Zwiespalt schlicht den Raumgrößen geschuldet. Nun beginnt der Versuch 3 Stücke zu verbinden. Inarow. Wie auf einem Flugfeld werden wir in Position gewiesen: „Stay close“

Die drei Stücke haben je ein Filmgenre zum Vorbild und setzen sich mit dessen Klischees und Machtbildern auseinander werde ich später erfahren. Für mich bestehen zunächst nur Körper, Licht Bewegung und Techno. Sowie sprachliche Wiederholungen und der Typ mit der Nazi Attitüde, der zwischen den beiden Räumen wechselt. Im Krimi ist er eine Art herrschender Zuhälter und im Western ein Feind den es zu vertreiben gilt. Nach blinkenden Stöckelschuhen und einigen Runden Skateboard fahren ist der Stamm noch nicht zerhackt als sich die Türen öffnen, die beiden Räume verbinden und Wasser verteilt wird. „share me“. Nun suchen wir uns Plätze im großen Saal. Der weite Bühnenraum gefüllt mit einigen geometrischen Figuren und Emporen. Sci-Fi.

Foto: Klaus Gigga

Viele Darsteller vollführen eine präzise Choreographie so weit im Raum verteilt, dass sich das Auge entscheiden muss, welcher Geschichte es nun folgt. Dazu zahlreiche Projektionen in allen Bühnen Bereichen. Trotz klarer Strukturen eine visuelle Überforderung. Neon Röhren trennen einen schmalen vorderen Bereich vom Rest der Bühne. Hier befindet sich eine Art zweite Ebene in welcher an einem Schreibtisch eine Darstellerin und ein Darsteller eine Art Machtspiel vollführen, ihre Rollen tauschen und bis in alle Ewigkeit Zahlen in die Schreibmaschine tippen. Wieder Techno. Um was es hier geht das darf den Künstlern nach jeder selbst entscheiden. Nicht verstehen gibt es nicht. Der Gesamt Eindruck zählt und der ist ziemlich überwältigend. Am Ende ein Monolog mit dem Rat eine Entscheidung zu treffen zwischen Nehmen und Geben. Langer Applaus. Im Foyer warten zwei Musiker am Rücken verbunden. Der eine beugt sich nach vorn und hebt somit den Anderen, auf seinem Höhepunkt zupft dieser eine Seite der elektrischen Gitarre. Ich muss nach draußen. Zu viel Pathos steckte in diesem letzten Text und doch war er berührend. Besonders die Emotionen der vortragenden Tänzerin waren mitreißend – noch beim verbeugen rang sie mit den Tränen, war ergriffen und mitgenommen von dem selbst erschaffenen Zustand – beeindruckend.


Jetzt ist mehr los im Haus. Tanz und Performance. An allen Ecken ist etwas los. Menschen in regen Gesprächen. Ein historisches Tanzerbe wird gefeiert und durch die zwischenzeitliche Stille im Raum entsteht trotz einfacher Bewegungen eine gefasste Spannung. Anderswo: Zwei Männer, mal bekleidet, mal nackt, werfen, reiben, pressen ihre schwitzenden Körper an mit Kohlestaub überzogene weiße Wände. Schemenhaft verbleiben weiß, grau ihre Abdrücke und sie selbst werden immer schwärzer. Action Noir. Fotografieren erwünscht – sendet die entstandenen Bilder an…
Während dessen wird weiter unten getanzt, gespielt, gesungen und geschrien. Ein Liebespaar vollführt Kunststücke zwischen totaler Gelassenheit und intensiven Gefühlsausbrüchen. Artistisch, klangvoll, witzig, berührend.
Während die Türen am Haupteingang Stück für Stück verschlossen werden wird weiter hinten noch getanzt. Tanzende Tänzer ein fröhlicher Anblick, doch ich bin müde und fahre nach Haus. Der Weg mit dem Fahrrad ist noch weit und diese Zeilen wollen geschrieben werden. Morgen werde ich wieder kommen, gespannt was mich erwartet.

Text und Fotos: Vinzenz Buhl

Pressefotos Hellerau: Klaus Gigga